Das ist der «Swing State» der Schweiz
Pennsylvania, North Carolina, Georgia, Michigan, Wisconsin, Arizona und Nevada. Das sind die berühmten Swing States. Also dort, wo sich der amerikanische Wahlkampf entscheidet. In diesen Staaten sind die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Demokraten und den Republikanern so knapp, dass es auf jede Stimme ankommt.
Das amerikanische Präsidenten-Wahlsystem mit dem «Winner takes it all»-Prinzip mag uns direktdemokratisch verwöhnten Schweizerinnen und Schweizern zuweilen befremdlich vorkommen. Aber auch wir kennen Swing States. Oder besser gesagt: einen Swing State.
Politwissenschaftler Michael Hermann erklärt:
Hätte die Schweiz das Parteiensystem der USA, würden sich im Zentralschweizer Kanton Demokraten und Republikaner ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Hermann begründet das in dem Mix zwischen Stadt und Land in Luzern.
Grundsätzlich gelte: Je urbaner ein Kanton sei, desto progressiver ist das Stimmverhalten. Allerdings beweise etwa das Tessin, dass es auch Ausnahmen gebe: Es müsste gemessen an dem Verstädterungsgrad eigentlich progressiver sein.
Das Wallis ist nach links gekippt
Früher habe neben Luzern auch noch das Wallis als klassischer Schweizer «Swing State» gegolten. Mittlerweile ist der Bergkanton aber «deutlich nach links» gerutscht, wie Hermann ausführt. Das hänge vor allem mit zwei Entwicklungen zusammen. Erstens mit der Wachstumsdynamik im Unterwallis, die diesen Kantonsteil mit der urbanen Région lémanique verschmelzen lässt. Zweitens mit dem Bedeutungsverlust der katholischen Kirche.
Entscheidend sind die Swing States in der Schweiz jedoch nur bei Abstimmungen, bei denen auch ein Ständemehr nötig ist. Also bei allen Initiativen und obligatorischen Referenden. Dann gibt es – je nach Themenbereich der Abstimmung – auch noch weitere Swing States. «In sozialpolitischen Fragen etwa, gehören Solothurn und Glarus zu den Kippkantonen», sagt Michael Hermann.
Linke Anliegen brauchen mehr Support aus dem Volk
Abstimmungen, die das Ständemehr benötigen, müssen auch das Volksmehr erreichen. Sprich: Damit die Swing States in der Schweiz überhaupt entscheidend sein können, braucht es immer auch das Volksmehr. Hier gilt: Nur bei engen Abstimmungsergebnissen ist das Ständemehr relevant, wobei dessen Bedeutung vom Thema einer Vorlage abhängt.
Hier sieht Hermann sogar Parallelen zwischen der Schweiz und Amerika:
Die kritische Grenze, dass eine Initiative aus linken Kreisen auch das Ständemehr findet, liegt bei einem Ja-Stimmenanteil von 52 bis 56 Prozent, wie Hermann ausführt. Einen ähnlichen Vorsprung bräuchte in den USA auch Kamala Harris, um sicher ins Weisse Haus einziehen zu können.
Lanciert dagegen etwa die SVP ein Volksbegehren, so ist ihr das Ständemehr eigentlich fast sicher, wenn sie das Volksmehr erreicht. Die zahlreichen kleinen, konservativen Kantone liefern hier zuverlässig zugunsten der Volkspartei ihre Standesstimme ab.
Die Schweiz ist kleinräumiger
Hermann betont aber, dass das Schweizer Abstimmungsverhalten schwieriger vorhersehbar ist als der Präsidentenwahlkampf in Amerika. Während sich in den USA beim Kampf zwischen den Demokraten und den Republikaner immer dasselbe Muster zeige, sei jede Abstimmung ein Unikat.
Je nach Inhalt spielen andere regionale Befindlichkeiten eine Rolle. «Nehmen wir etwa die Krankenkasseninitiative der SP: Da war auch die jeweilige Prämienhöhe wichtig für den Abstimmungsentscheid, bei der AHV-Initiative der Gewerkschaften spielte diese dagegen keine Rolle», so Hermann.
Auch hierzulande versuchen sich Kampagnenteams bei sehr engen Abstimmungskämpfen verstärkt auf die Swing States zu konzentrieren. Das ist aber schwieriger als in den USA. Das auch wegen der Kleinräumigkeit unseres Landes. Nur weil jemand im Swing State Luzern lebt, muss er noch lange nicht im gleichen Kanton arbeiten. Dabei ist schwierig zu eruieren, wo solche Swing Statler am besten durch Wahlwerbung erreicht werden können.
Sicher ist: Mit Swing States versuchen derzeit mehrere Schulen, die Lust ihrer Schülerinnen und Schüler an Politik zu wecken. Mehrere Eltern berichten, dass die US-Wahlen zum Schulstoff geworden sind. Dabei waren gerade auch in mehreren Schweizer Kantonen Wahlen. Aber wenn es darum geht, das Feuer für Demokratie zu entfachen, ist Arizona offensichtlich näher als der Aargau. (aargauerzeitung.ch)
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