«Zerstörung historischer Gebäude ist Verlust von Geschichte»
Mitte April ist in der Schwyzer Gemeinde Illgau ein 700 Jahre altes Haus abgerissen worden. Die Schwyzer Regierung hatte den Abbruch zuvor bewilligt, mit der Begründung, dass einer Unterschutzstellung «erhebliche private Interessen» gegenüberstehen und dass «triftige Gründe ... es erlauben, von den fachtechnischen Einschätzungen betreffend Schutzwürdigkeit und Schutzfähigkeit abzuweichen", wie die Luzerner Zeitung schrieb.
Die Schwyzer Sektion des Schweizer Heimatschutzes wollte gegen diesen Regierungsentscheid Beschwerde einreichen. Doch der Eigentümer war schneller: In einer Nacht- und Nebelaktion riss er das historische Holzhaus ab. Gegenüber der Luzerner Zeitung erklärt er, er wolle lieber wohnen, «wie es im Jahr 2022 üblich ist».
Quelle: Tele 1
Illegaler Abriss
Mit dem Abriss hat sich der Eigentümer strafbar gemacht. Denn er bodigte das historische Gebäude noch vor Ablauf der Beschwerdefrist. Somit war die Bewilligung der Regierung noch nicht rechtskräftig. Mittlerweile hat die Gemeinde Illgau ihn bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, er muss mit einer Busse bis zu 50'000 Franken rechnen. Und dennoch: Das 700-jährige Haus ist und bleibt zerstört. Und es handelt sich hierbei nicht um einen Einzelfall. Weder im Kanton Schwyz, noch in den anderen Zentralschweizer Kantonen.
Warum aber werden immer wieder jahrhundertealte Bauten in neuen Beton verwandelt? Eugen Imhof, Präsident Innerschweizer Heimatschutz Sektion Obwalden, meint: «Oft kann man es sich nicht vorstellen, wie zeitgemässes Wohnen in dem alten Gebälke möglich ist. Auch ökonomische Überlegungen spielen eine Rolle sowie in jüngster Zeit auch die bauliche Verdichtung von Ortskernen.» Die Sektion Luzern des Innerschweizer Heimatschutzes sieht zudem das Unwissen in den ländlichen Gemeinden als Ursache: «In den Landgemeinden wird vielfach der Wert der historischen Bauten nicht wahrgenommen. Eine Auseinandersetzung seitens Innerschweizer Heimatschutzes mit solchen Themen stösst oft auf Unverständnis – gerade in Landgemeinden ohne Baufachgremium.»
Sensibilisierung von Gemeinden und Eigentümer
Erst indem der Heimatschutz den Dialog mit der Dorfbevölkerung suche, werde dem Dorf der Wert der bestehenden Bauten bewusst. Und den Eigentümern der Wert ihrer eigenen vier Wände. Dieses Bewusstsein sei wichtig: Will der Kanton nämlich eine Baute unter Schutz stellen, so muss der Eigentümer im Normalfall zustimmen.
Eugen Imhof nimmt in dieser Hinsicht allerdings eine erfreuliche Entwicklung wahr: In der Innerschweiz wächst bei den Eigentümern das Bewusstsein für den Wert historischer Bauten. «Es gibt in allen Kantonen Beispiele, wo Besitzer ihre Wohnhäuser in Eigeninitiative unter Schutz stellen möchten.»
Schutz über Eigeninteressen
Während das Bewusstsein unter den Eigentümern wächst, wird von den Kantonen mehr erwartet: «Sie sollen ihrer Verpflichtung nachkommen und unser baukulturelles Erbe über die Eigeninteressen einzelner Grundstückbesitzer stellen.»
Zudem müssten sie für mehr Klarheit hinsichtlich des Schutzstatus der Bauten sorgen, und zwar bevor ein Bauvorhaben ansteht. Hier gäbe es kantonale Unterschiede: «Der Kanton Obwalden ist diesbezüglich vorbildlich. Die Inventare sind Teil des Bau- und Zonenplanes und werden regelmässig aktualisiert. Andere Innerschweizer Kantone - so beispielsweise die Kantone Schwyz und Nidwalden - haben wenige Bauten unter Denkmalschutz gestellt. Der Schutzstatus wird erst bei einem konkreten Bauvorhaben geklärt, was zwangsläufig zu Interessenkonflikten führt.»
Heimatverlust
Zu Interessenskonflikten, die dann im ungünstigsten Fall sogar in einer Straftat enden. Jüngstes Beispiel ist Illgau.
Ein Abriss, der schmerzt: «Die Zerstörung von historischen Gebäuden ist ein unwiederbringlicher Verlust von Geschichte. Dies trifft insbesondere auf das bäuerliche Kulturerbe zu. Sie sind Teil unserer Kulturlandschaft und tragen zur Einmaligkeit einer Region bei. Verlieren wir diese, verlieren wir immer Heimat.»