Gansabhauet mit Stoffgans? «Traditionen müssen zeitgemäss und nachhaltig sein»
«Es ist eine Tradition. Das darf man doch nicht einfach verbieten», kommentiert ein PilatusToday-Leser unter einem Artikel zur Abschaffung der Gansabhauet. Das Argument der Traditionalisten akzeptiert Bernhard Tschofen nicht. Er ist Professor für Populäre Kulturen an der Universität Zürich. Bräuche hätten sich in der Funktion schon immer verändert.
So war in diesem Jahr der Gansabhauet
Kollektive Rituale «in allen Ehren, aber sie müssen zeitgemäss sein», so Tschofen. Nur weil eine Tradition modernisiert wird, hiesse das nicht, dass ihre Bedeutung verloren gehe. Früher habe man viel «grusigere» Traditionen gepflegt, heute sei das undenkbar. «Eine Gesellschaft zeigt in ihren Bräuchen immer auch ihre Werte, aber Werte ändern sich und sind öffentlich verhandelbar», so Tschofen.
Wie auch ein Beispiel aus dem spanischen Manganeses zeigt: Da werden keine echten Ziegen mehr vom Kirchturm geschmissen, eine Puppe reicht aus. Auch in Sursee könne sich der Professor eine Modernisierung vorstellen – zum Beispiel in Form einer Stoffgans.
Tradition als Mittel gegen Obrigkeit
«Was wollt Ihr uns noch alles verbieten? Hört endlich auf, uns alles vorzuschreiben», schreibt ein Leser und ein anderer: «Die ewige Brauchtums-Verteufelung ist zum Kotzen.» Geht es hier wirklich nur darum, den Zauber wilder Zeiten zu bewahren? Eine Art Protest schwinge manchmal mit – die Berufung auf Tradition würde auch dazu dienen, «die Grenzen des Akzeptierten auszuloten», so Tschofen.
«Traditionen sind Möglichkeiten, Widerstand gegen bestehende Ordnungen, früher vor allem auch gegen die Obrigkeit zu zeigen.» Als Beispiel nennt der Uni-Professor die Freiheits-Trychler, die während der Coronapandemie traditionsverliebt gegen die Massnahmen schossen. Viele würden sich hinter diesen Traditionen verstecken und durch diese Hintertür ihre Kritik ausüben.
Nachhaltige Bräuche sind gefragt
«Dass jetzt eine tote Gans unter der Verblödung der Menschen leiden muss, ist eine typische Wohlstandskrankheit unserer oberflächlichen Menschen», kritisiert ein weiterer Leser unter dem Artikel. Tierwohl sei den Menschen immer wichtiger, erklärt auch Tschofen. Es spiele auch eine Rolle, dass «wir heute vom Anblick toter Tiere entfremdet sind.» Für ihn sei es nur konsequent, dass auch Bräuche nachhaltiger werden und sich dem Zeitgeist anpassen.